18.11.2010

Verzicht auf Entzug der Fahrerlaubnis nach Verkehrstherapie

Wird vor der Hauptverhandlung eine anlassspezifische Verkehrstherapie erfolgreich absolviert, so kann dies das Gericht davon überzeugen, dass die zuvor fehlende Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen wiederhergestellt worden ist. Hierdurch wird die Möglichkeit zum Absehen von der Entziehung der Fahrerlaubnis und zur Beschränkung auf die Erteilung eines Fahrverbotes eröffnet.

(Vgl. AG Bremen, Urteil vom 01.12.2009, 82 Cs 600 Js 50024/09 (455/09)
 

Das Amtsgericht verhandelte gegen einen Motorradfahrer, der mehrfach nacheinander und unter ganz erheblicher Unterschreitung des vorgeschriebenen Sicherheitsabstandes erst sehr dicht auf Fahrzeuge auf der Überholspur einer Autobahn aufgefahren war und diese dann überholte, bevor diese die linke Fahrspur vollständig freigegeben hatten, zum Teil in einem Abstand von nur 1 m. Die Fahrerlaubnis des Motorradfahrers wurde nach dem Verkehrsverstoß vorläufig entzogen.

Wegen dieses rücksichtslosen und grob verkehrswidrigen Verhaltens beim Überholen verurteilte das Amtsgericht den Motorradfahrer zu einer Geldstrafe, verzichtete aber, entgegen § 69 StGB, auf die Entziehung der Fahrerlaubnis, sondern beschränkte sich auf ein zweimonatiges Fahrverbot, weil der Motorradfahrer vor dem Gerichtstermin - erfolgreich - an einer verkehrspsychologischen Therapie teilgenommen hatte. Das Gericht sah in dem erfolgreichen Abschluss dieser Therapie hinreichende Gewähr dafür, dass der Motorradfahrer die - an sich aus dem abgeurteilten Verkehrsverstoß regelmäßig abzuleitende - Ungeeignetheit ein Kraftfahrzeug im Straßenverkehr zu führen, erfolgreich bekämpft und seine Fahreignung wieder hergestellt habe.

Anmerkung:
 § 69 StGB sieht bei Begehung von Straftaten im Zusammenhang mit dem Führen eines Kraftfahrzeugs die Entziehung der Fahrerlaubnis durch das Gericht als strafrechtliche Nebenfolge vor, wenn sich aus der konkreten Tat ergibt, dass der Täter nicht zum Führen von Kraftfahrzeugen geeignet ist.

Für vier spezielle Verkehrsstraftaten wird diese Ungeeignetheit kraft Gesetzes sogar als Regelfall angenommen, ohne dass das Gericht hier die Entziehung der Fahrerlaubnis noch besonders begründen müsste. Es handelt sich dabei um die "Gefährdung des Straßenverkehrs" (§ 315 c StGB), die "Trunkenheit im Verkehr" (§ 316 StGB, das unerlaubte Entfernen vom Unfallort (§ 142 StGB) falls bei dem Unfall ein Mensch getötet oder nicht unerheblich verletzt oder ein nicht unbedeutender Fremd-Sachschaden entstanden ist und schließlich der so genannte "Vollrausch" (§ 323 a StGB) wenn sich diese Tat auf einen der drei ersten Fälle bezieht.

Bei diesen vier Regelfällen muss das Gericht also die Entziehung der Fahrerlaubnis nicht besonders begründen. Umgekehrt muss das Gericht, wenn es - höchst ausnahmsweise - auf die Entziehung der Fahrerlaubnis verzichten will, dies besonders begründen. Da alleine die verstrichene Zeit zwischen Tattag und Gerichtsverhandlung hierfür nicht ausreicht, kommt es darauf an, ob besondere Umstände vorliegen die (belastbar) darauf schließen lassen, dass der betroffene Kraftfahrer sich inzwischen so geändert hat, dass er nicht (mehr) ungeeignet, sondern stattdessen inzwischen wieder zum Führen von Kraftfahrzeugen geeignet ist. Der Täter muss also dem Gericht solche (gewichtigen) Umstände mitteilen und beweisen, die eine vom Regelfall ausnahmsweise abweichende Beurteilung seiner Fahreignung nahe legen.

Hier kann es sinnvoll sein, wenn der Täter, in Abstimmung mit seinem Verteidiger, der seine Strategie hierauf aufbauen und versuchen wird, die notwendige zeitliche Perspektive im Prozessverlauf zu schaffen, an einer speziellen verkehrspsychologischen Therapie teilnimmt, welche die in der konkreten Tat zum Ausdruck gekommenen speziellen Defizite des Täters (hinsichtlich seiner Teilnahme am Straßenverkehr) aufgreift und versucht einen entsprechenden und dauerhaften Wandel des Täters bezüglich seiner Einstellung zur Teilnahme am Straßenverkehr und seines Verhaltens im Zusammenhang mit dem Führen eines Kraftfahrzeuges zu bewirken. Diese Therapiemaßnahmen werden von hierfür besonders qualifizierten, staatlich anerkannten Verkehrspsychologen durchgeführt, welche am Ende der Therapiezeit auch beurteilen, ob der Täter tatsächlich aktiv mitgewirkt und seine Defizite aufgearbeitet hat. Sieht der Verkehrspsychologe nach Abschluss der Therapiezeit eine entsprechende, als dauerhaft einzuschätzende Veränderung, bescheinigt er die erfolgreiche Therapie. Auf Basis dieser Bescheinigung einer erfolgreichen Teilnahme an einer verkehrspsychologischen Therapie, kann jetzt das Gericht sich eine - verkehrspsychologisch fundierte - Überzeugung bilden, ob der Täter sich zwischen Tat und Hauptverhandlung so gewandelt hat, dass die ursprünglich vorliegende Ungeeignetheit zum Führen von Kraftfahrzeugen entfallen ist und der Täter nunmehr wieder als geeignet einzuschätzen ist.

Tipp:
Die Bescheinigung einer erfolgreichen Therapie ist zwar kein "Allheilmittel" und keine Garantie für den Verzicht auf die Entziehung der Fahrerlaubnis, da das Gericht daneben auch alle weiteren ihm bekannten Informationen verwerten muss. In einer Gesamtschau aller für die gerichtliche Entscheidung relevanten Umstände ist eine erfolgreiche Therapiemaßnahme aber jedenfalls einer der zentralen Bestandteile.

Da derartige Therapien, insbesondere (aber nicht nur) wenn sie im Zusammenhang mit Alkohol oder Drogen stehen, wo häufig längere Abstinenzzeiten nachgewiesen sein müssen, längere Zeit in Anspruch nehmen, ist es wichtig, dass der Täter so früh wie möglich einen Verteidiger beauftragt und mit diesem die Strategie abstimmt sowie dann zum frühestmöglichen Zeitpunkt mit einer geeigneten Therapiemaßnahme beginnt!

Wer also Anlass hat anzunehmen, dass gegen ihn ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren wegen einer Verkehrsstraftat in Gang gekommen ist, sollte schnellstmöglich - am besten noch an dem Tag, an dem der fragliche Vorfall stattgefunden hat - einen Verteidiger kontaktieren, denn hier zählt letztlich jeder Tag, um eine Chance zu haben, die Therapiemaßnahme vor der Hauptverhandlung abzuschließen.

(Selbst wenn der rechtzeitige Abschluss der Therapie im konkreten Fall nicht gelingt, kann die erst nach dem Urteil erfolgreich abgeschlossene Therapie auch noch im Nachhinein hilfreich sein. Sie kann etwa dazu dienen, die Sperrfrist für die Wiedererteilung einer Fahrerlaubnis nachträglich abzukürzen und ist auch in Fällen, in denen die Fahrerlaubnisbehörde bei der Bearbeitung des Antrags auf Wiedererteilung der Fahrerlaubnis, ihrerseits Zweifel an der Fahreignung und damit an den Voraussetzungen für eine Wiedererteilung der Fahrerlaubnis hegt bzw. sogar eine Fahreignungsprüfung (früher medizinisch psychologische Untersuchung oder MPU genannt) anordnet, nützlich und damit in jedem Falle sinnvoll.)